RECHERCHE IN DER ADLER-KUNSTSAMMLUNG
Im Zentrum des Forschungsprojektes „The Emilie & Karl Adler Collection Project“ stand die Rekonstruktion der Kunstsammlung Adler, von Karl Adler seit 1910 gesammelt und mit großer Expertise aufgebaut, wurde sie nach der Machtergreifung der Nationalsozialisten durch Zwangsverkäufe und Enteignungen vollständig zerstört.
Im Fokus des von Juni 2021 bis März 2024 durchgeführten und durch das Deutschen Zentrum Kulturgutverluste, Magdeburg finanzierten Projektes, standen die Rekonstruktion des bislang unbekannten Sammlungsbestandes sowie die Suche nach dem Verbleib der seit 1938/39 vermissten Kunstwerke.
INVENTAR DER RECHERCHIERTEN KUNSTWERKE: DETAILLIERTE AUFSCHLÜSSELUNG
Die Kunstsammlung der Adlers umfasste Gegenstände von klassischen und modernen Kunstwerken, wie einige Gemälde unter anderem von Leo Putz, Josef Scharl und Max Kuschel, ganze Mappen mit Zeichnungen so etwa von Max Slevogt und Francisco de Goya, zahlreiche Grafikwerke, beispielsweise von Oskar Kokoschka, Max Klinger, Käthe Kollwitz und Max Liebermann, bis hin zu kostbaren Schränken und Skulpturen der italienischen Renaissance und des Barock, Kunsthandwerk aus Japan, China, Indien und dem Orient, Porzellane, Silbergegenstände und eine aus rund 1.000 Bänden bestehende Bibliothek mit zahlreichen bibliophilen Ausgaben von Klassikern und modernen Kunstzeitschriften.
Der auffälligste Aspekt dieser umfangreichen Sammlung war zweifellos ihr Schwerpunkt auf der Druckgrafik der Moderne, einer Gattung, die später von den Nazis als "entartete Kunst" bezeichnet wurde. Die Sammlung umfasst rund 310 Grafiken von bedeutenden Vertretern der klassischen Moderne. Im Zentrum stand hier die Kunst von Alfred Kubin. Er war mit 16 Zeichnungen und circa 130 Lithografien in der Sammlung Adler vertreten.
FORSCHUNGSMETHODIK
Zur Durchführung des Forschungsprojektes wurden folgende, methodische Vorgehensweisen angewendet:
Rekonstruktion des ehemaligen Bestandes der Sammlung Karl und Emilie Adler, München.
Identifizierung der Kunstwerke; Klärung der Provenienz und Bestimmung des Verbleibs.
Auswertung überlieferter Dokumente der Jahre 1933 bis 1960, die sich mit der seit 1933 einsetzenden Verfolgung der Familie Adler durch die Nationalsozialisten, der Enteignung und dem nach 1945 eingeleiteten Wiedergutmachungsverfahren befassen.
Durchsicht der Beschlagnahmeprotokolle, Briefe und Dokumente in der 2007 im Münchner Stadtmuseum entdeckten Akte.
Eine bedeutende Quelle ist das von Emilie Adler und ihrem Schwiegersohn Erich Glas im März 1960 an die Wiedergutmachungsbehörde, München übergebene, fünfseitige Inventarverzeichnis der Münchner Wohnung Adler.
Abschriften von Korrespondenzen zwischen Karl Adler und Alfred Kubin sowie Erich Glas und Kubin.
Im Eigentum der Nachfahren haben sich darüber hinaus einige wenige s/w Fotografien der Innenräume des von der Familie Adler bis Anfang Oktober 1933 bewohnten Hauses in München Harlaching erhalten. Die Fotografien vermitteln einen Eindruck von der kostbaren Ausstattung der Räume.
Recherchen in Katalogen vergangener Ausstellungen, Museumsarchiven, Galerien und Auktionsaufzeichnungen, um die Herkunft der Kunstwerke zu ermitteln.
Die Befragung von Experten, um wertvolle Einblicke in künstlerische Stile und historische Kontexte zu bekommen.
ERGEBNISSE
Wie bereits erwähnt, handelte es sich bei der Adler-Kunstsammlung um eine besondere Sammlung, die nicht nur klassische Kunst umfasste, wie unter zeitgenössischen Sammlern üblich, sondern sich auch auf moderne Kunst konzentrierte.
Diese Besonderheit machte die Recherche für alle Beteiligten besonders spannend – und ebenso schwierig.
Ein großer Teil der Sammlung bestand aus Druckgrafiken und Radierungen auf Papier, die in der Regel in größeren Auflagen (Serien von 50 oder 100 Drucken) hergestellt wurden. Viele dieser Werke sind in den Beschlagnahmeakten nur mit einer Nummer aufgeführt (z. B. "Alfred Kubin, Mappe mit 15 Drucken"). Diese Listen bestätigen zwar den Reichtum des Kerns der Sammlung - eine Fundgrube für moderne Grafik -, aber sie sind leider nicht detailliert genug, um bestimmte Werke zu identifizieren.
Gleiches gilt für einige der Zeichnungen und Gemälde, die zum Bestand der Sammlung Adler gehörten. In den überlieferten und konsultierten Dokumenten wird häufig nur der Künstler genannt, auf die Werktitel und eine genauere Beschreibung jedoch zumeist verzichtet.
Viele der Gemälde sind frühe Werke der damals jungen Künstler. Sie zeigten oft wiederkehrende Themen und Ansätze, die später zu Markenzeichen ihrer sich entwickelnden Stile wurden und den Blick der Adlers für die moderne Kunst unterstrichen.
In der Zeit der Beschlagnahmung wurden diese Gemälde jedoch unter Titeln katalogisiert, die nicht die für schlüssige Forschungsergebnisse erforderliche Spezifität aufwiesen.
So besaßen die Adlers beispielsweise ein Gemälde des Münchner Künstlers Leo Putz, das laut überlieferter Beschreibung eine Dame mit Hut in einem Park zeigt – ein Thema, welches Putz jedoch mehrmals gemalt hat. In den Beschlagnahmeakten taucht das Werk lediglich als "Dame mit Hut" auf. Leo Putz war zu Lebzeiten ein bekannter und geachteter Künstler, dessen Werke in renommierten Galerien und Salons in ganz Europa ausgestellt wurden. Auch war er vor allem für seine Porträts schöner junger Frauen bekannt, die er häufig in modischer Kleidung, einschließlich Hüten, darstellte. Die Suche nach der "Dame mit Hut" in Katalogen vergangener Ausstellungen, Auktionshäusern, Galerien und Museen ist wie die Suche nach einem bestimmten Sandkorn an einem riesigen Strand.
Schließlich wird in den überlieferten Dokumenten zumeist nur der Künstler genannt, die Werktitel, genauere Beschreibungen oder Abbildungen fehlen.
Aus diesen Gründen konnte der Verbleib der umfangreichen Kunstsammlung Karl Adlers, die seit 1938/39 durch Enteignung und Plünderung zerstört worden war, nicht vollständig rekonstruiert und geklärt werden.
Trotz dieser Herausforderungen wurden einige bemerkenswerte Entdeckungen gemacht. Hier sind ein paar Highlights.
Eine Zeichnung von Max Slevogt, „Deutscher Adler und englischer Löwe“, 1900, konnte eindeutig identifiziert und ihr aktueller Standort bestimmt werden.
Ebenfalls geklärt werden konnten die Provenienzen von sieben Lithografien Alfred Kubins, des Zyklus „Intermezzi“ von Max Klinger, des Aquarells „Susanna im Bade“ von Franz Naager und der Kaltnadelradierung „Portrait Konrad Dreher“ von Olaf Gulbransson. Nachdem diese Werke im November 1938 – ebenso wie die Zeichnung von Max Slevogt – von der Gestapo beschlagnahmt wurden, gelangten sie Anfang 1939 zunächst in das Maximilianeum, München und von hier aus an die Staatliche Graphische Sammlung, München, wo sie im Juli 1944 verbrannten. Das 1907 datierte
Gemälde „Frühstück im Freien“ von Leo Putz befindet sich seit 2000 in der Sammlung des Südtiroler Bauunternehmers Siegfried Unterberger.
Zusammenfassend lässt sich sagen, dass das wahre Vermächtnis dieser Sammlung vielleicht nicht in ihrer vollständigen Rekonstruktion oder ihrer materiellen Wiederherstellung liegt, sondern in den Geschichten, die sie weiterhin offenbart.
Die Nachkommen der Adlers reflektieren:
“Der Zweck der Recherche ging jedoch über das bloße ‘Auffinden und Zurückgeben’ gestohlener Kunstwerke hinaus. Es ging vor allem darum, mehr über die unwahrscheinliche und ungerechte Reise der verlorenen Stücke der Adlers-Kunstsammlung zu erfahren und das Leben von Karl und Emilie selbst sowie möglicherweise andere Familiengeschichten ans Licht zu bringen.
Und in der Tat sind diese Geschichten ans Licht gekommen und haben ein reicheres Bild vom Leben der Adlers gezeichnet. Sie können nun mit ihren Nachkommen geteilt werden - Geschichten, die an Enkel und Urenkel weitergegeben und mit Kunst- und Geschichtsliebhabern im Allgemeinen geteilt werden können.”
Hier sind nur einige dieser Erzählungen.
Eine detaillierte Auflistung der Forschungsergebnisse findet sich auf der Seite der database und in der DZK Lost Art-Datenbank.
FORSCHUNGSTEAM
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Dr. Vanessa Voigt
Vanessa Voigt, promovierte Kunsthistorikerin, ist seit 2002 als freiberufliche Provenienzforscherin für internationale Sammler, Privatpersonen, Museen, Institutionen, Kunsthändler und Rechtsanwälte tätig. Aufgrund ihrer langjährigen internationalen Expertise verfügt Vanessa Voigt über fundierte Kenntnisse im Bereich der Forschung und im Umgang mit NS-verfolgungsbedingt entzogenen Kunstwerken und Kulturgütern.
Sie war leitende Wissenschaftlerin und Projektmanagerin des Forschungsprojekts The Emilie & Karl Adler Collection Project - Reconstruction of the Emilie and Karl Adler Collection, Munich and clarification of the whereabouts of the artworks missing since 1938, das im Juni 2021 begann. -
Dr. Sophia Barth
Dr. des. Sophia Barth studierte Kunstgeschichte, Geschichte und Kommunikationswissenschaft unter anderem in München und Edinburgh. Ihre Dissertation, eine Biografie über den Münchner Bankier und NS-Kunsthändler Alois Miedl, erscheint 2024. Barth ist seit 2021 als Wissenschaftlerin im Bereich Provenienzforschung tätig. Als wissenschaftliche Mitarbeiterin hat sie das Adler Research Project von Beginn an bezüglich der Ersterfassung von Primärquellen zur Rekonstruktion der gesamten Kunstsammlung sowie bei der Identifizierung und Zuschreibung der aufgefundenen Kunstwerke unterstützt. Darüber hinaus führte sie Ermittlungen zu Familien- und Künstlerbiografien durch und war intensiv an Archiv-, Literatur- und Datenbankrecherchen beteiligt.
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Julia Heinzerling
Julia Heinzerling, M.A., ist seit 2019 als selbstständige Provenienzforscherin tätig. Sie verfasst wissenschaftliche Provenienzdossiers, rekonstruiert Sammlungen und forscht zum Verbleib von Kunst- und Kulturgütern. Mit einem Hintergrund in Kunstgeschichte und Museologie sammelte sie internationale Erfahrungen durch Praktika in Florenz (Kunsthistorisches Institut in Florenz, Galleria degli Uffizi) und konzentriert sich auf europäische Kunst des 14.-16. Jahrhunderts, sowie historische Fotografie, insbesondere im Kontext von NS-verfolgungsbedingter Entziehung von Kunstgütern. Ihre Unterstützung bei der Recherche umfasst Datenbankrecherchen, Korrespondenzüberprüfungen, Transkriptionen, Recherchen zu Einzelpersonen und deren Sammlungen, sowie abschließende Lektoratsarbeiten.
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Johannes Walk
Johannes Walk studierte Kulturwissenschaft mit Schwerpunkt Literatur an der FernUniversität in Hagen. Seine Abschlussarbeit über die Veränderungen von Gender-Tropen im modernen Horrorfilm wurde von der Fakultät für Kultur- und Sozialwissenschaften ausgezeichnet. Innerhalb des 'The Karl and Emilie Adler Collection Project', unterstützte er die Recherche in Auktionskatalogen, half bei der Erstellung einer Datenbank und schrieb Wikipedia-Artikel zur Dokumentation der Geschichte der Familie Adler.